Über das „schmutzige Duzend“ und seine letzten vier Mitglieder lesen Sie hier:
1. Diese menschlichen Faktoren vervollständigen das „schmutzige Duzend“
Im dritten Teil der Serie über das „schmutzige Duzend“ befassen wir uns mit unterschiedlichen Mangelzuständen:
- Mangel an Resourcen
- Mangel an Teamarbeit
- Mangel an Durchsetzungskraft
- Mangel an Aufmerksamkeit
Alle vier gefährden die Sicherheit und können Fehler bedingen. Daher müssen sie uns im Crew Resource Management als Quellen vermeidbarer Fehler, beim Stricken unserer Sicherheitsnetze sowie bei der Eruierung einer Fehlerursache stets präsent sein.
2. Der Mangel an Resourcen limitiert uns in vielen Aspekten
2.1. Was sind unsere Resourcen?
Crew Resource Management lehrt uns, unsere Resourcen als Team geschickt einzusetzen. Diese umfassen unser Arbeitsmaterial, Zeit, finanzielle Resourcen und nicht zuletzt unsere Teammitglieder und Hilfe, die andere Teams uns leisten.
Jedes unserer Teammitglieder bringt sein Wissen und Können, seine professionelle Einstellung und hilfreiche Eigenschaften mit. In kontinuierlicher Weiterbildung optimieren wir diese Resourcen, am besten als Teams.
Zeit fehlt uns fast immer
Einen Aspekt der Zeit wollen wir hier herausgreifen. Die zehn Sekunden, um die nächsten zehn Minuten zu planen, haben wir im Rettungsdienst immer. Es ist besser, wir investieren diese Sekunden und koordinieren unsere nächsten Handlungen als daß wir in einer kritischen und komplexen Situation in ein Chaos geraten, welches die Lage unserer Patientinnen und Patienten verschlechtert.
Arbeitsmaterial, das uns fehlt
Im Rettungsdienst gibt es Hilfsmittel, die als zu teuer im Vergleich zum Nutzen erachtet werden. Hierzu zählten lange blutstillende Verbandstoffe, die auch zum festen Austamponieren von tiefen, stark blutenden Wunden verwendet werden.
Es ist ein Glück für unsere Patientinnen und Patienten, daß wir diese Verbandstoffe tatsächlich selten anwenden müssen. Doch wenn wir sie brauchen, brauchen wir sie wirklich, und wir können unseren Patienten einen unnötigen Blutverlust ersparen.
Finanzielle Resourcen
Womit wir beim nächsten Thema wären: Geld. Wo wird nicht der Rotstift angesetzt? Wann beeinträchtigt dies durch fehlende Resourcen unsere Sicherheit? Wann ist es besser, nicht am falschen Ende zu sparen, da die Konsequenzen Sicherheit und Ruf gefährden und noch teurer als die initiale Investition sind?
Personal oder Teammitglieder
Manchmal ist aus finanziellen Gründen die Personaldecke dünn. In diesem Fall fällt es noch mehr ins Gewicht, wenn durch Krankheiten, Urlaube und Fortbildungen eine zusätzliche Verknappung auftritt.
Darüber hinaus ist die Zusammensetzung unseres Teams von Bedeutung. So haben wir an manchen Tagen ein eingespieltes Team aus langjährig erfahrenen Experten, an anderen mehrheitlich Unerfahrene mit im Boot.
Ideelle Resourcen
Wir wissen, daß wir unser Wissen und Können aktuell halten und somit Zeit für spannende Fortbildungen einplanen wollen. Zu den ideellen Resourcen gehört auch unsere Einstellung, die wir zu unserer Arbeit mitbringen.
2.2. Dieses Mitglied des „schmutzigen Duzend“ erfolgreich anpacken
Gerade Zeit und finanzielle Resourcen sind keine einfachen Themen, das müssen wir alle offen zugeben. Nur gemeinsam mit den Entscheidungsträgern in Führungsebenen erreichen wir Verbesserungen.
Die folgenden Überlegungen helfen uns dabei:
- Zeit sinnvoll einteilen und das Wichtige erkennen
- die notwendigen Ausgaben richtig einschätzen
- Welches Arbeitsmaterial brauchen wir wirklich?
- Was ist überflüssig oder obsolet und könnte Platz für neues Material machen?
- Welche Verbesserungen erreichen wir mit unseren Neuerungen?
- Wie teilen wir Teams sinnvoll ein? Wie verteilen wir die Aufgaben geschickt?
- Welche Fortbildungen können wir erfolgreich in die Tat umsetzen?
- Punkte, die Ihnen zusätzlich einfallen
3. So vermeiden wir Mangel an Teamarbeit
3.1. Teamarbeit umfaßt viele Aspekte
Als Team sollen wir unsere Resourcen zielführend nutzen, auch und gerade in komplexen Situationen. Um dies zu erreichen, müssen wir wissen, wer im Team welche Aufgaben sicher beherrscht und welche Rolle übernehmen kann.
Sodann müssen wir ohne Informationsverlust kommunizieren, unsere Aufgaben verteilen und Entscheidungen fällen. Wichtige Informationen müsssen wir fortlaufend verarbeiten, ohne daß dabei entscheidende Hinweise verlorengehen.
3.2. Essentiell ist das gemeinsame Training
Als Team müssen uns die oben genannten Aspekte gut vertraut sein. Für ein erstmaliges Darandenken ist mitten im rettungsdienstlichen Einsatz oder in einer unvorhergesehenen Situation auf einem Transatlantikflug nicht der geeignete Zeitpunkt.
Vielmehr machen wir uns außerhalb unserer Einsätze und bei Simulationstrainings Gedanken und üben die richtige Kommunikation, Modelle zur Entscheidungsfindung und wie wir unter uns die Aufgaben aufteilen. Es gilt:
Laßt diejenigen zusammen üben, die zusammen arbeiten.
3.3. Genauso wichtig wie das Training: Nachbesprechungen
Ein Team hat ein Medikament verwechselt? Jemand hat einen entscheidenden Hinweis eines Angehörigen zur Allergie der Patientin nicht gehört?
Nun sind wir in der strukturierten Nachbesprechung als Team gefragt. Mit Schuldzuweisungen und Strafpredigten kommen wir nicht weit. Damit erreichen wir eher Angst und Vertuschung von Fehlern.
Im modernen Rettungsdienst streben wir konstruktive Nachbesprechungen an, die vor allem ein Ziel haben:
Die Ursache unseres Fehlers ans Licht zu bringen. Häufig gibt es nicht nur einen einzigen Grund für einen Fehler, sondern eine Verkettung von Ereignissen.
Wenn ein Fehler passiert ist, der folgenreich sein kann, wie z. B. die Gabe eines nicht indizierten Medikamentes, wird nach der Besprechung der Fall anonymisiert und möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen als wichtige Lerngelegenheit zur Verfügung gestellt.
3.4. Team heißt nicht: „Toll, ein anderer macht’s“
Für unsere Arbeit im Team brauchen wir unsere professionelle Einstellung. Wir sind nur Menschen und kommen nicht mit jeder und jedem gleich gut aus. Dennoch erreichen wir viel, wenn wir während der Arbeitszeit zielbewußt und sachlich zusammenarbeiten.
Darüber hinaus sollten wir uns bewußt sein, daß wir als Teammitglied an unserem Platz zählen, vor allem, wenn wir unser Können vollständig einbringen. So stärken wir insgesamt die Moral in unserem Team und beugen der Einstellung vor, daß die anderen die Dinge schon erledigen werden.
4. Mangel an Durchsetzungskraft – Fehler werden nicht aufgedeckt
4.1. Mit Durchsetzungskraft auf Fehler hinweisen
Wenn ein Teammitglied einen Fehler bemerkt hat, braucht es die Aufmerksamkeit des Teams, damit entsprechend gehandelt wird. Dies gilt z. B. wenn jemand im OP bemerkt hat, daß sich ein Operateur unsteril gemacht hat, indem er einen nichtsterilen Gegenstand in seiner Nähe berührt hat.
Damit eine Patientin oder ein Patient jetzt keine Infektion durch Übertragung von Keimen in die OP-Wunde erleidet, muß sich der Operateur erst wieder steril machen. Es ist unerheblich, ob die oder der Instrumentierende, jemand von der Anästhesieseite oder ein Techniker im OP den Vorgang beobachtet und darauf aufmerksam gemacht hat.
4.2. Durchsetzungskraft als Prinzip im gesamten Unternehmen
Wir alle wissen, daß diese Art der Durchsetzungskraft nicht immer leicht zu verwirklichen ist. Lange galt zwischen Ärzten in der Klinikhierarchie „Ober sticht Unter“, d. h. eine Oberärztin oder ein Oberarzt hatte recht, auch wenn der Einwand eines Assistenzarztes durchaus berechtigt war und die Patientin hätte schützen können.
Es ist also auch an den Entscheidungsträgern, die Betriebskultur so zu gestalten, daß ein Speak up und ein Hinweisen auf Fehler jederzeit möglich ist, damit eine Schädigung einer Patientin oder eine sonstige gefährliche Situation vermieden werden.
Wenn jemand im Team auf Fehler oder Gefahren glaubhaft und sachlich argumentiert hingewiesen hat, sollte das Team diese explorieren und erst weiterarbeiten, wenn die Situation suffizient geklärt wurde.
4.3. Selbst mutig sein
Gerade in strikt hierarchischen Arbeitsverhältnissen müssen wir unseren Mut zusammennehmen, wenn wir Fehler oder potentielle Gefahren bemerkt haben. Wir sollten unsere Beobachtungen ruhig und ohne Wertung vorbringen. Konstruktive Verbesserungsvorschläge dienen der Untermauerung.
5. Mangel an Aufmerksamkeit verursacht Fehler
Wie Sie durch fleißige Lektüre längst wissen, bezieht sich unsere situative Aufmerksamkeit auf Raum, Zeit, unsere Resourcen und Informationen. Nehmen Sie sich kurz Zeit, für Ihr eigenes Umfeld die situative Aufmerksamkeit und potentielle Konsequenzen bei deren Mangel zu überlegen. Im folgenden finden Sie Beispiele aus der Luftfahrt und dem Rettungsdienst.
Räumliche Aufmerksamkeit
- beim Fliegen z. B. Abstand vom Boden und Gebirgen im Nebel
- im Rettungsdienst: Gefahren an einer vielbefahrenen Straße, auf einer Baustelle
Zeitliche Aufmerksamkeit
- in der Luftfahrt Zeit bis zur Landung, entsprechende Regelung der Geschwindigkeit, Flughöhe, u. a. m.
- bei einer Reanimation feste Zeiten zur Kontrolle des Herzrhythmus, Gabe für Medikamente, Zeit, die eine Intubation benötigen darf (notwendige Unterbrechung der Herzdruckmassage)
Resourcen
- generell Ausrüstung und Team, aber auch potentielle Hilfe durch weitere Teams, im Rettungsdienst auch durch Passanten und Angehörige (z. B. im Treppenhaus beim Lichtschalter bleiben, während das Team den Patienten im Tragetuch herunterträgt)
Informationen
- in der Luftfahrt ist die Beachtung von Angaben zu Windstärke und Seitenböen für die Landung essentiell
- im Rettungsdienst sind z. B. Angaben über die Dauermedikation wichtig (mögliche Wechselwirkungen)
Die Konsequenzen aus den Beispielen oben bei Nichtbeachtung können erheblich sein. Deshalb besprechen und üben wir auch die situative Aufmerksamkeit wird in Teamtrainings gezielt.
6. Alle Mitglieder des „schmutzigen Duzend“ auf einen Blick
Nach den Blogartikeln geordnet finden Sie hier nochmals das komplette „schmutzige Duzend“ auf einen Blick. Nutzen Sie gerne die Gelegenheit, zu wiederholen oder die menschlichen Faktoren und den geeigneten Umgang damit auf Ihren eigenen Arbeitsbereich zu übertragen.
- mangelhafte Kommunikation
- Selbstzufriedenheit
- mangelndes Wissen
- Ablenkung
- Druck
- Streß
- Fatigue
- Normen
- Mangel an Resourcen
- Mangel an Teamarbeit
- Mangel an Durchsetzungskraft
- Mangel an Aufmerksamkeit
Ein großes Lob an Sie, liebe Leserinnen und Leser, für Ihr fleißiges Dranbleiben am wichtigen Thema „das schmutzige Duzend“.
7. Im nächsten Blogartikel beginnen wir mit den Wartungsarbeiten
Was ist Maintenance Resource Management, MRM? Warum es sich aus dem CRM entwickelt hat, welche Rolle es für die Sicherheit spielt, und welche konkreten Prinzipien es gibt, erarbeiten wir im nächsten Blogartikel.
Frühere Blogartikel finden Sie auf der Blogseite unten verlinkt.
Autorin: Eva-Maria Schottdorf
Datum: 30. März 2022