Faktor Mensch – über die ersten vier Mitglieder des „schmutzigen Dutzend“ lesen Sie hier:
1. Der Faktor Mensch beeinflußt all unsere fleißige Arbeit
In dieser neuen, dreiteiligen Serie von Blogartikeln wollen wir den Faktor Mensch beleuchten. Wir definieren ihn, lernen verschiedene Unterpunkte davon kennen und erarbeiten, wie wir seinen Einfluß erfolgreich verringern.
Unter dem Faktor Mensch werden die Einflußgrößen zusammengefaßt, die uns alle betreffen und die sich auf unsere Arbeit, auch und gerade die in einem Team, auswirken. Der Faktor Mensch bestimmt somit unseren Umgang miteinander sowie die Sicherheit und Präzision mit der wir unsere Arbeit erledigen.
Wir werden sehen, daß wir manche dieser Einflüsse leichter bearbeiten können als andere. Tätig werden können wir in allen Fällen, also packen wir es an!
2. Zwölf Einflüsse veranschaulichen den Faktor Mensch
Es gibt verschiedene Zusammenstellungen der Unterpunkte, die den Faktor Mensch in seiner Gesamtheit darstellen. Für diese Serie wollen wir uns das sogenannte „schmutzige Dutzend“ herausgreifen.
Zu diesem Dutzend gehören:
- Mangelhafte Kommunikation
- Selbstzufriedenheit
- Mangelndes Wissen
- Ablenkungen
- Mangelhafte Teamarbeit
- Fatigue
- Mangel an Resourcen
- Druck
- Mangelnde Durchsetzungskraft
- Streß
- Mangelhafte Aufmerksamkeit
- Normen
In diesem ersten Artikel über den Faktor Mensch betrachten wir die ersten vier der oben genannten Faktoren.
3. Faktor Mensch in der Kommunikation
Wenn Sie im letzten Jahr bereits mitgelesen haben, kennen Sie die wichtigen Kommunikationstechniken. Nehmen Sie sich gerne kurz Zeit, diese für sich selbst durchzugehen, bevor sie die untenstehende Zusammenfassung lesen.
3.1. Mit wichtigen Techniken optimieren wir unsere Kommunikation
Geschlossende Kommunikationsschleifen
Mit geschlossenen Kommunikationsschleifen stellen wir sicher, daß wir das Gesagte wirklich verstanden haben und bieten die Möglichkeit für eine Korrektur, wenn es zu Abweichungen kommt.
Unmißverständliche Formulierungen
Wir benennen klar, was wir meinen. Zum Beispiel bei einem Unfall mit mehreren beteiligten Fahrzeugen: „Du Peter, gehe zu dem roten Lieferwagen, der an den Baum gefahren ist, und Du, Sarah, zu dem grauen Kombi, der in den Straßengraben gerutscht ist.“
Wo vorhanden, verwenden wir Standardformulierungen, im Rettungsdienst z. B. im Funkverkehr.
Kritisch bleiben und Nachhaken
Wenn wir etwas nicht verstanden haben, sollten wir nichts annehmen, sondern nachhaken: „Das habe ich nicht verstanden, welches Medikament meintest Du?“
Sterile Cockpit Rule
Aus der Luftfahrt, in welcher die Regel des sterilen Cockpits etabliert ist, haben wir uns abgeschaut, daß wir in Momenten mit hoher Arbeitsbelastung, die unsere ganze Konzentration erfordert, alle Kommunikation und Tätigkeit nur auf das Geschehen konzentrieren.
3.2. Hilfsmittel bei der Kommunikation
Was in einer Teamarbeit kommuniziert wird, ist komplex. Es geht um Vorausplanung, Verteilung der Arbeitsbelastung sowie das weitere Vorgehen bei einer sich plötzlich kritisch zuspitzenden Situation.
Generell können wir Checklisten nutzen, um keine wichtigen Punkte bei einer anstehenden Aufgabe zu vergessen.
Vor allem in kritischen Lagen ist das 10-für-10 Prinzip Gold wert. Es bringt Ruhe und Struktur in das Team, das jetzt, alle Aspekte berücksichtigend, eine Entscheidung fällen muß. In zehn Sekunden wird für die nächsten zehn Minuten geplant:
- Was ist unser Problem?
- Welche Resourcen haben wir als Team?
- Welche Fakten liegen vor?
- Wir planen, was zu tun ist.
- Wir verteilen die Aufgaben.
- Gibt es noch Faktoren/Rückfragen, die wir berücksichtigen müssen?
Wenn keine Rückfragen mehr vorhanden sind, gehen wir, wie besprochen, an die Arbeit.
4. Auch Selbstzufriedenheit kennzeichnet den Faktor Mensch
4.1. Was führt zu diesem menschlichen Faktor?
Eine durchaus positive Ursache kann ein ohnehin schon hoher Standard der Arbeit sein. Doch läßt sich dieser wirklich objektivieren? Viele professionelle Menschen sind gerade mit sich selbst und ihren Leistungen fast schon überkritisch. Daher brauchen wir eine gut balancierte Sichtweise auf die eigene Arbeit sowie die Fähigkeit, Kritik sowohl konstruktiv zu üben als auch anzunehmen.
Leider kann auch eine gewisse Trägheit die Ursache für die Selbstzufriedenheit sein, gerade wenn das Geschäft insgesamt läuft. Diese Trägheit kann bedingen, daß Trainings nicht als notwendig erachtet und daher nicht angeboten oder besucht werden.
4.2. Selbstzufriedenheit beeinflußt Genauigkeit und Wachsamkeit
Ungenaues Arbeiten
Ein Beispiel hierfür ist das nicht vollständige Abarbeiten von Checklisten während routinemäßiger Überprüfungen. Wie gerne läßt man sich zu einem „das wird schon stimmen“ hinreißen und läßt z. B. ein genaues Nachprüfen aller Schubladen eines Rettungswagens zu Schichtbeginn sein? Wir wissen, daß wir das nicht tun sollen und müssen daher die Disziplin aufbringen, eine Checkliste vollständig durchzugehen.
Betriebsblindheit
Betriebsblindheit kann sich einschleichen, Fehlerquellen werden nicht aktiv gesucht und somit auch nicht erkannt. Ist man selbstzufrieden, kann die Einsicht fehlen, daß Fehler immer und auf jeder Hierarchieebene passieren können. Dabei ist ein konsequentes Fehlermanagement für Qualität und Erfolg entscheidend.
4.3. Mit konsequentem Fehlermanagement packen wir diesen menschlichen Faktor an
Ein solches Fehlermanagement besteht aus aktivem Melden von Fehlern, der Ursachensuche, Beseitigung der Ursachen und Maßnahmen, um die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden. Zusätzlich sollte der Fehler anonymisiert allen als wichtige Lerngelegenheit berichtet werden.
4.4. Weiterentwicklung von Wissen und Können
Wenn wir mit unserer professionellen Einstellung Wissen und Können aktuell halten, und dies auch im Unternehmen durch Weiterbildung und (Re)zertifizierungen unterstützt wird, hilft uns das, einer schleichenden Selbstzufriedenheit erfolgreich zu begegnen.
5. Mangelndes Wissen
5.1. Ursachen für diesen Aspekt des Faktor Mensch
Hier spielen nicht nur Ausreden nach einem langen Arbeitstag, sondern auch mangelnde Resourcen mit hinein, zum Beispiel Zeit. Wie soll man nach mindestens acht Arbeitsstunden noch Familie und Haushalt unter einen Hut bringen und dazu noch konzentriertes Lernen?
5.2. Wir beschaffen uns das Wissen trotzdem
Wie unter 4.4. schon erwähnt, hilft es uns, wenn in unserem Unternehmen eine Kultur des fortgesetzten Lernens herrscht. Dazu gehört das regelmäßige Besuchen von Kursen. In der Notfallmedizin gibt es beispielsweise Kurse über die Wiederbelebung, welche alle zwei Jahre aufs neue absolviert und mit einer Prüfung abgeschlossen werden müssen.
Hilfreich ist/sind auch:
- realistische Erwartungen (verfügbare Zeit, Kapazität etc.)
- gute Planung
- kurze und intensive Einheiten, dafür häufiger pro Woche
- Konzentration
- herausfiltern, was wirklich wichtig ist
- Möglichkeiten in der Arbeit für Wiederholungen nutzen und das Gelernte in den Kontext einbinden
- Tips, die Ihnen noch einfallen
6. Ablenkung stört wichtige Arbeitsprozesse
Ablenkungen haben viele Ursachen. So können plötzliche Unterbrechungen, permanente Störungen wie ein andauernd klingelndes Telephon oder etwas Unvorhergesehenes die Arbeit stören. Wir werden aus unserer momentanen Tätigkeit und aus unserer Konzentration herausgerissen.
Nun gilt es, die Arbeit mit Qualität fortzusetzen, ohne wichtige Arbeitschritte auszulassen.
6.1. In der Luftfahrt: Aviate, Navigate, Communicate
Pilotinnen und Piloten konzentrieren sich in einer unvorhergesehenen Situation zuerst darauf, das Flugzeug zu fliegen, als zweites, zu navigieren, dann darauf, zu kommunizieren. So wird vermieden, daß die eine Ablenkung dazu führt, daß ein Flugzeug verunglückt, da sich alle auf das Problem konzentrieren, aber niemand mehr das Flugzeug fliegt.
Auf dem Flug 401 der Eastern Airlines war eine Mannschaft im Cockpit so sehr von einem durchgebrannten Kontrollicht im Cockpit abgelenkt, daß sie das Flugzeug zum Absturz brachte.
Es kann auch geschehen, daß eine Mannschaft im Cockpit eine begonnene Arbeit bei einer Ablenkung unterbricht und anschließend nicht weiter abarbeitet. Dies geschah auf dem Flug 92 der British Midland am 8. Januar 1989.
Die Piloten rekapitulierten was geschehen war, wurden durch einen Funkspruch der Flugaufsicht unterbrochen und nahmen den Faden nicht wieder auf. Dies war möglicherweise eine der Komponenten, die den Absturz kurz vor der Landebahn mitverursachten.
Eine Dokumentation des Disasters von National Geographic („Air Crash Investigation British Midland Flight 92 National Geographic Documentary“) ist auf YT zugänglich.
6.2. In der Notfallmedizin: Bei „A“ noch einmal anfangen
Ein wichtiger Leitfaden bei der Beurteilung von Patientinnen und Patienten in der Notfallmedizin ist das ABCDE-Schema. Man beginnt bei dem, was am schnellsten tödlich enden kann und arbeitet sich systematisch vor:
- A, Atemwege (engl. airway): frei?
- B, Atmung (engl. breathing): u. a. Atemmuster/Verletzungen am Brustkorb
- C, Kreislauf (engl. circulation): Beurteilung der Kreislaufsituation
- D, neurologische Funktion (engl. disability): u. a. Bewußtseinszustand
- E, Umgebung (engl. environment): Hitze, Kälte, aber auch z. B. Verletzungen, Schmerzen
Ist die Situation komplex oder wurde das Team abgelenkt, fangen die Teammitglieder bei A noch einmal mit der systematischen Beurteilung an.
6.3. Generell hilfreiche Tips bei Ablenkung
- in einer Checkliste zwei Punkte zurückgehen, von dort aus weiterarbeiten
- in einem Team ein 10-für-10 vornehmen
- die Arbeitsschritte vor der Ablenkung rekapitulieren, dann weiterarbeiten
- wenn es möglich ist, die Ablenkung abstellen, z. B. Telephonzeiten festlegen
7. Vier weitere Punkte zum Faktor Mensch im nächsten Blogartikel
Im nächsten Blogartikel sehen wir uns vier weitere Faktoren an, die unsere Arbeitsleistung schwächen können. Vor allem erarbeiten wir natürlich, was wir aktiv gegen sie unternehmen können.
Frühere Blogartikel finden Sie auf der Blogseite unten verlinkt.
Autorin: Eva-Maria Schottdorf
Datum: 11. Januar 2022