Über eine gute Sicherheitskultur, ihre Notwendigkeit und Komponenten lesen Sie hier:
1. Fehler und Sicherheitssäume
1.1. Die menschlichen Faktoren bedrohen unsere Arbeit
Die menschlichen Faktoren beeinflussen unsere Arbeit, ganz gleich, wie sehr wir uns bemühen, sie zu umgehen. Wir alle wissen, wie sich Zeitmangel und ein Mangel an Resourcen anfühlen. Zudem kann ein Mangel an adäquater Ausrüstung oder Training vorliegen. Durchsetzungskraft zu zeigen und ein Speak up zu wagen, ist auch nicht immer einfach.
Daher machen wir alle Fehler, zumeist unabsichtlich und unabhängig von unserem Rang in der Firma. Wir haben bereits beleuchtet, wie wir diese mithilfe des Managements von Bedrohungen und Fehlern in Schach halten. Zusätzlich haben wir uns Just Culture angesehen, um zu lernen, wie wir eine Kultur etablieren, in welcher wir Fehler und Risken berichten können, ohne eine ungerechte Strafe fürchten zu müssen.
1.2. Was passiert, wenn die Sicherheitssäume verringert werden?
Was sind Sicherheitssäume?
Wir richten Sicherheitssäume ein, indem wir Crew Resource Management Prinzipien intelligent nutzen. Zum Beispiel benutzen wir Checklisten, wir checken mit Kolleginnen oder Kollegen gegen und wir nutzen bestimmte Kommunikationstechniken, um die Sicherheit unserer Arbeit zu erhöhen.
Der Zweck von Sicherheitssäumen ist es, eine Möglichkeit zu schaffen, Fehler zu entdecken und zu korrigieren, bevor sie irgend welchen Schaden anrichten.
Warum werden Sicherheitssäume geschmälert?
Wir alle wissen, daß es Zeitdruck und die Notwendigkeit, kosteneffektiv zu arbeiten, fast an jedem Arbeitsplatz gibt. Daher scheint so manche Abkürzung eines Prozesses allzu verlockend, sogar an Hochrisikoarbeitsplätzen wie in der Luftfahrt oder dem Gesundheitswesen.
Mögliche Konsequenzen der geschmälerten Sicherheitssäume
Ein Beispiel aus der Luftfahrt
Während der Wartungsarbeiten am Flugzeug N233YV, vom Typ Raytheon (Beechcraft) 1900D, das auf dem Flug mit der Nummer 5481 der Air Midwest vom Charlotte-Douglas International Airport zum Greenville-Spartanburg International Airport, Greer, South Carolina, USA, am 8. Januar 2003 eingesetzt wurde, waren mehrere entscheidende Arbeitsschritte ausgelassen worden.
In der Folge konnte das Höhenruder, das zum Heben oder Senken der Flugzeugnase benötigt wird, nicht im vollen Umfang bewegt werden, was zum Absturz dieses Fluges beitrug.
Ein Beispiel aus dem Rettungsdienst
Stellen Sie sich eine Mannschaft auf einem Rettungswagen vor, die zu Beginn ihrer Nachtschicht nicht die gesamte Ausrüstung gemäß den Standard Operating Procedures und Checklisten überprüft. Während eines Einsatzes muß ein Patient intubiert werden (Sicherung der Atemwege), und das Licht des Laryngoskops, eines Instrumentes, das dazu benutzt wird, die Stimmritze darzustellen und den Tubus in die Luftröhre einzuführen, ist schwach und erlischt plötzlich.
Nun beginnt ein hektisches Suchen nach der Ersatzausrüstung, was den Patienten in ein ernstes Risiko bringt, da die Prozedur zur Sicherung der Atemwege verzögert wird.
Mögliche Konsequenzen
Arbeitsschritte während der Wartung eines Flugzeuges auszulassen oder die Ausrüstung an Bord eines Rettungswagens zu Beginn der Schicht nicht ordentlich zu kontrollieren, sind nur zwei Beispiele, wie die Grenzen verschoben und damit die Sicherheitssäume geschmälert werden.
Dies mag ein paarmal gutgehen und manche Fachkräfte dazu ermutigen, die Grenzen im Laufe der Zeit weiter zu verschieben. Doch letzten Endes ist die wahrscheinliche Folge ein möglicherweise tödliches Unglück.
Die Fehler, die wir alle von Zeit zu Zeit machen und die Gewohnheit, die Sicherheitssäume nicht zu respektieren, illustrieren beide die Notwendigkeit, eine Sicherheitskultur zu etablieren.
Diese spannt sich wie ein Schirm über alle unsere Anstrengungen, das Risiko von Fehlern zu minimeren und die Sicherheit unserer Arbeit zu maximieren.
2. Die Sicherheitskultur ist allen Sicherheitsmaßnahmen übergeordnet
2.1. Definition
Der Begriff „Kultur“ zeigt, daß es sich nicht um ein einzelnes Konzept handelt, das in einem kurzen Kurs erlernt werden kann. Vielmehr besteht die Sicherheitskultur aus Grundsätzen, Verhaltensweisen und Einstellungen zur Sicherheit.
Zusätzlich spielen der Wille, Fehler zu melden und daraus zu lernen sowie Flexibilität eine Rolle, wie wir unten sehen werden. Selbstverständlich beeinflussen die Werte und Gewohnheiten der jeweiligen Nation und die Standards des Industriezweiges die Sicherheitskultur, die wir an unseren Arbeitsplätzen kreieren oder aufrechterhalten.
2.2. Wer ist Teil unserer Sicherheitskultur?
Der Chef oder die Chefin einer Firma oder eines Unternehmens sollte ein gutes Beispiel geben. Sie oder er ist verantwortlich für die Etablierung und Aufrechterhaltung einer gesunden Sicherheitskultur in der gesamten Firma oder dem gesamten Unternehmen. Alle höheren Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle in der Anleitung, im Anlernen und Informieren aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Nicht zuletzt sollten alle Angestellten, die Arbeiten, welche ein Sicherheitsriskio beinhalten, ausführen, ermutigt werden, ihre Aufmerksamkeit für eine Sicherheitskultur zu entwickeln und zu erhalten. Das bedeutet unter anderem, daß sie aktiv Fehler und Sicherheitsrisiken berichten sollen.
2.3. Sicherheitskultur kann nicht ersetzt werden
Unsere Sicherheitskultur überzuordnen bedeutet, daß sie nicht durch bereits existierende Trainings zu den menschlichen Faktoren, CRM Prinzipien und deren Gebrauch oder Maintenance Resource Management, MRM, ersetzt werden kann. Sie ist der Schirm unter welchem wir alle Maßnahmen, die die Sicherheit in unserer Arbeit maximieren, vornehmen.
Ein Sicherheitsmanagementsystem, welches alle nötigen Prozeduren, organisatorischen Strukturen und Verantwortlichkeiten umfaßt, aber auch ein Meldesystem, sollten vorhanden sein.
3. Die Komponenten der Sicherheitskultur
Mehrere verschiedene Komponenten bilden die Sicherheitskultur einer Organisation. Zuerst werden wir diejenigen beleuchten, die James Reason für relevant erachtete. Dann werden wir den Einfluß untersuchen, den zum Beispiel Verantwortung, Führung und Einstellung haben.
3.1. Das Postulat von James Reason
Wie wir in der Illustration oben erkennen können, hat James Reason fünf Elemente benannt, die zusammen eine Sicherheitskultur bilden. Lassen Sie uns nun genauer betrachten, wie diese definiert sind.
Kultur des Lernens
Eine Firma oder Organisation muß den Willen haben, aus ihren Fehlern, die sie aufdeckt, indem sie ihr Meldesystem benutzt, zu lernen und die nötigen Veränderungen vorzunehmen. Zusätzlich muß jede Angestellte und jeder Angestellter das Sicherheitsmanagementsystem, dessen Prozesse sowie die kontinierlichen Verbesserungen verstehen.
Informierte Kultur
Jede und jeder, die oder der mit daran beteiligt ist, eine Sicherheitskultur einzurichten, aufrechtzuerhalten und danach zu handeln, kennt die Prinzipien, Einstellungen, erwarteten Verhaltensweisen, und Prozeduren. Die Daten über die Sicherheit werden kontinuierlich gewonnen und ausgewertet, alle Informationen zur Sicherheit werden zeitnah an alle weitergegeben, die dies betrifft.
Flexible Kultur
Die Belegschaft eines Betriebes oder einer Organisation ist in der Lage, sich an dynamische Anforderungen anzupassen oder auf Bedrohungen zu reagieren. Manchmal werden in einem solchen Prozeß die Hierarchien abgeflacht.
Just Culture
Die gesamte Belegschaft berichtet über Fehler und wird nicht ungerechtfertigt bestraft. Wer schuld an einem Fehler hat, muß die entsprechende Verantwortung übernehmen, nachdem die Umstände aufgeklärt wurden. Sanktionen, auf welche sich die Organisation oder Firma geeinigt hat, werden angewendet, wenn grobe Fahrlässigkeit involviert ist. Dies kann bis zum Verlust einer beruflichen Lizenz im Einklang mit geltenden Bestimmungen gehen.
Kultur des Meldens
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden ermutigt, Fehler und alle Bedenken bezüglich der Sicherheit zu melden. Das Team, oder wer auch immer zuständig ist, exploriert dann die Ursache der Fehler oder Sicherheitsrisiken und erarbeitet, wie zukünftige Fehler vermieden werden und Risiken abgemildert werden können.
3.2. Die folgenden Punkte erweitern die fünf Elemente
Führung
Jede Führungskraft sollte Führungsqualität beweisen und ein gutes Beispiel dafür geben, wie man sich mit echter Aufmerksamkeit für Sicherheitskultur verhält.
Das bedeutet, keine Sicherheitssäume zu schmälern, eigene Fehler zuzugeben und zu korrigieren, aber auch, die Fehler anderer, deren Mangel an Aufmerksamkeit für die Sicherheitskultur oder Risiken nicht unbeachtet zu lassen.
Wirkliche Führungskräfte zeigen die Courage, diese Fehler und Risiken anzsprechen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Verbesserungen zu ermutigen.
Verantwortung
Führungskräfte, aber auch alle Angestellten, sind dafür verantwortlich, selbst das Sicherheitsmanagementsystem und das Meldesystem zu verstehen, welche die Firma etabliert hat.
Einstellung und Engagement
Jede und jeder in einer Firma oder Organisation, die oder der risikoreiche Tätigkeiten vornimmt, sollte verstehen, welche professionelle Einstellung gefordert wird. Zusätzlich gilt, daß, je mehr sich diese Angestellten engagieren, selbst zur Sicherheitskultur beizutragen, desto besser wird diese Kultur und ermöglicht somit sichere Operationen.
Kommunikation und Vertrauen
Jede Firma hat ihre eigenen Prozeduren, wie Fehler und Risiken kommuniziert werden. Es sollte eine Atmosphäre vorherrschen, in welcher die Angestellten ihren Vorgesetzten vertrauen können, daß sie keine ungerechte Strafe erwarten müssen, wenn sie einen Fehler gemacht haben und darüber berichten. Kommunikation und Vertrauen beziehen sich besonders auf Just Culture und die Kultur des Meldens.
Training
Kontinuierliche Kurse werden von vielen Organisationen im Gesundheitswesen und von allen Firmen und Organisationen in der Luftfahrt angeboten. Diese regelmäßigen Kurse behandeln die menschlichen Faktoren, Crew Resource Management oder Maintenance Resource Management.
Zusätzlich müssen zumindest neue Angestellte das Sicherheitsmanagementsystem und die übergeordnete Sicherheitskultur einer Firma kennenlernen und erfahren, wie Fehler und Risiken zu melden sind.
4. Die Anerkennung der Sicherheitskultur ist nicht überall auf der Welt gleich
Hierarchien und eine Sicherheitskultur, wie in diesem Blogartikel beschrieben, korrelieren miteinander. In Ländern mit einer strikten Hierarchie, wie beispielsweise in Taiwan, Japan und Rußland, sind Ideen wie das Speak up weniger üblich. Daher könnten bestimmte Komponenten einer modernen Sicherheitskultur nicht im selben Maße geschätzt werden wie in einem Land mit flachen Hierarchien, wie in den USA, in Skandinavien oder Irland.
Wie sollen wir vorgehen, wenn die Sicherheitskultur nicht geschätzt wird und jemand, der einen Fehler berichtet, einfach aufgrund von „grober Fahrlässigkeit“ entlassen wird, selbst wenn er den Fehler unabsichtlich gemacht hat? Leider passiert dies immer noch überall auf der Welt.
Welche Schritte schlagen Sie vor, um die Situation zu verbessern? Was könnten Sie an Ihrem eigenen Arbeitsplatz unternehmen, falls Sie dort Verbesserungspotential sehen? Wie schätzen dabei Sie Ihre Aussichten auf Veränderungen ein?
5. In meinem nächsten Blogartikel lesen Sie:
Es ist Advent und Zeit, köstliches Backwerk zu kreieren. Ganz gleich, ob Sie in der Küche zusammen mit Ihrer Familie arbeiten, mit engen Freundinnen oder Freunden oder innerhalb einer Wohltätigkeitsorganisation, Sie werden überrascht sein, wieviel Sie über Crew Resource Management schon gelernt haben.
Frühere Blogartikel finden Sie auf der Blogseite unten verlinkt.
Autorin: Eva-Maria Schottdorf
Datum: 27. November 2021
Die Artikel werden nach einem Jahr von der Blogseite entfernt, aktualisiert, erweitert und in Bücher gefaßt. Diese können Sie auf der Seite „Eine CRM-Buchserie der besonderen Art“ direkt erwerben. Der erste Band wartet dort schon auf Sie: