Über Druck, Streß, Fatigue und Normen sowie den erfolgreichen Umgang damit lesen Sie hier:
1. Druck von allen Seiten und mögliche Ventile
1.1. Was ist Druck?
Jemandem Druck zu machen kann unangenehme Formen annehmen: So kann man jemanden zu Aussagen oder Handlungen bewegen, dabei insistierend auftreten, Notwendigkeiten und Knappheiten betonen. Den Druck kann man durch Androhung von Maßnahmen, Vorenthaltungen oder Konsequenzen steigern.
Sicher erinnern wir uns an solche unangenehme Situationen in unserem Leben. Was haben wir empfunden? Welche Umstände können zusätzlich noch Druck machen? Wie gehen wir mit Druck am besten um?
1.2. Druck, den wir uns selbst machen
Sich selbst ein wenig Druck zu machen, ist nichts Negatives, sondern kann uns, wenn wohldosiert, helfen, unsere gesteckten Ziele zu erreichen.
Bestimmte Persönlichkeiten setzen sich selbst stark unter Druck und haben fast unerfüllbare Erwartungen an sich selbst, was die Perfektion ihrer Arbeit, deren Menge, aber auch den Schwierigkeitsgrad anbelangt.
Wenn wir nicht mit realistischen Erwartungen an uns selbst unsere Arbeit angehen, geraten wir in Streß. Wenn wir das vermeiden, vermeiden wir eine negative Spirale aus Überforderung, Ermüdung, abnehmender Leistung und Unzufriedenheit, weil wir unseren Ansprüchen nicht gerecht werden. Unter dem Strich steigt unsere Arbeitsleistung, wenn wir den Druck auf uns selbst geschickt einsetzen.
1.3. So gehen wir mit Druck auf uns selbst um
Wir helfen uns selbst, wenn wir:
- realistisch planen, wann wir welche Aufgaben abarbeiten werden
- das Wichtige herausfiltern und uns darauf konzentrieren
- das Dreieck zwischen Qualität, Zeit und Kosten beachten, wir können nicht alle drei Punkte gleichzeitig maximal ausreizen
- akzeptieren, daß der Tag für jeden von uns nur 24 Stunden hat, und wir darin auch Erholng, Familie, Freunde und Schlaf unterbringen sollen
1.4. Druck in Arbeitsverhältnissen
Projekte sollen am besten gestern abgeschlossen worden sein, die Kosten müssen unbedingt gering gehalten werden, auch knapp anberaumte Termine müssen eingehalten werden, das Personal soll die gesamte Zeit über voll leistungsfähig, effizient und hochkonzentriert arbeiten. Dazu hat jede und jeder Vorstellungen von zukünftigen Projekten, Optimierungen und Visionen, deren Umsetzung ausgearbeitet werden soll.
Wer findet sich hier nicht wieder? Wieviel Druck entsteht zusätzlich dadurch, wie die Anforderungen kommuniziert werden? Welche Unterstützung und Angebote zur Weiterbildung sowie Mentoring haben wir?
1.5. So minimieren wir unnötigen Druck am Arbeitsplatz
Ventile für den Druck am Arbeitsplatz umfassen:
- Zuteilung von Aufgaben, die dem momentanen Leistungsniveau der Beteiligten entsprechen und die Möglichkeit bieten, weiter zu wachsen
- realistische Planung von Projekten mit Zeitlinien, die extra Puffer enthalten
- Einplanung unvorhergesehener Ereignisse und Ausfälle, Überlegung von Alternativen
- gemeinsame Planung im Team, Anhören von Einwänden und konstruktiven Lösungvorschlägen
- Kosten ehrlich einschätzen
- alle Punkte, die Ihnen noch einfallen
1.6. Druck in der Teamarbeit
Im Notarztdienst passiert es sehr leicht, in einer komplexen Situation Regeln für eine gute Teamarbeit außer Acht zu lassen und im Eifer des Gefechtes zu viele Aufgaben auf einmal an die Teammitglieder zu verteilen. So sollen sie die Beatmung und den intravenösen Zugang vorbereiten, gleichzeitig Medikamente aufziehen und am besten auch gleich die richtige Zielklinik informieren. Das erzeugt Druck, der nicht notwendig ist.
1.7. So vermeiden wir Druck in der Teamarbeit
Wir wissen, wieviele Teammitglieder wir haben und daß diese nur zwei Hände, zwei Füße und einen Kopf haben. Entsprechend müssen wir uns disziplinieren und die Aufgaben wohlportioniert übertragen. Erst wenn wir die Rückmeldung erhalten haben, daß die Aufgabe erledigt ist, und wir das quittiert haben, bitten wir um neue Tätigkeiten.
Für die Teammitglieder ist es wichtig zu wissen, daß sie darauf aufmerksam machen sollen, wenn zu viele oder zu schwierige Aufgaben auf einmal an sie vergeben wurden.
1.8. Druck, den Kundinnen und Kunden uns machen
Mit einer professionellen Haltung ist es uns selbstverständlich, daß unsere Kundinnen und Kunden bei uns Königinnen und Könige sind. Von unserer Seite aus geben wir alles, um das richtige Angebot parat zu haben, gut zu beraten, zuvorkommend zu sein und auf Wünsche einzugehen. Eine gewisse Erwartungshaltung sollen unsere Kunden haben.
Wir haben aber auch Erfahrungen mit Kunden, Klientinnen oder Patienten, die besondere Ansprüche an uns haben. Nun müssen wir geschickt die Balance halten, zwischen dem Erfüllen von ein paar Extrawünschen, während wir uns gleichzeitig nicht übermäßig drängen lassen.
2. Streß schadet nicht nur uns selbst
Wie grenzen wir Streß vom vorher besprochenen Druck ab? Eine Möglichkeit ist es, Druck als einen von vielen Auslösern von Streß zu sehen.
Wenn wir negativem Streß ausgesetzt sind, leiden wir darunter, und auf Dauer können Krankheiten bis hin zu Herzinfarkten entstehen. Doch nicht nur wir selbst haben erhebliche Nachteile, auch für unsere Arbeit kann unser Streß folgenreiche Konsequenzen haben.
2.1. Weshalb wir im CRM auf Streß ausführlich eingehen
Streß bei Flugunfällen und in kritischen Situationen
An zahlreichen Flugunglücken war Streß beteiligt. Der Streß kann durch die aktuelle Situation bedingt sein, wie beispielsweise auf dem Qantas Flug 32 auf welchem ein zerstörtes Triebwerk und dadurch bedingten zahlreichen Ausfällen die Mannschaft in enormen Streß versetzte.
Der Streß kann auf der anderen Seite schon vorher bestehen und mit in den Flug hineingenommen werden. So kann sicher niemand einen schief hängenden Haussegen oder ernsthafte finanzielle Sorgen komplett verdrängen.
Ein normaler Rettungsdiensteinsatz birgt unerwarteten Streß
Wir haben einmal eine ältere, nicht ganz schlanke Patientin nach Sturz in einem engen Badezimmer mit Verdacht auf Schenkelhalsfractur versorgt.
Venen an Händen und Unterarmen waren dünn, schwer auffindbar und platzten leicht, so daß die Gabe der nötigen Schmerzmittel eine Herausforderung darstellte. Die Dame tat von Beginn unseres Einsatzes an ihre Unzufriedenheit mit unseren Leistungen in beleidigender Weise kund.
Wir mußten ruhig und höflich, aber bestimmt bleiben. Zunächst verbreichten wir Medikamente nasal, um die Patientin aus ihrer mißlichen Lage retten zu können. Danach legten wir eine Infusion an, um weitere Schmerzmittel nach Bedarf applizieren zu können.
Die Dame hatte ein Zielspital anvisiert, das die vermutete Fractur gar nicht versorgen konnte. Ungeachtet dessen hatte die Tochter schon dort angerufen, da ihre Mutter bereits beim Professor bekannte Patientin war. Nun erreichten uns mehrere zeitraubende Folgetelephonate.
Bei der Nachbesprechung waren wir uns als Team über den erlebten Streß einig. Es war unser Glück, daß der eigentliche Einsatz Routine war. Denn Streß und Ablenkungen können vermeidbare Fehler nach sich ziehen.
2.2. Wie wir stressige Situationen meistern
In der Ruhe liegt die Kraft
Vor allem sollten wir die Ruhe bewahren, dabei können wir uns im Team gegenseitig helfen. Bleiben wir ruhig und gelassen, hat das einen entspannenden Effekt auf das Team selbst und auch auf die Anwesenden. Wir arbeiten auf das Wesentliche konzentriert, kontinuierlich, aber nicht überhastet.
Die Situation richtig einschätzen
An die Situation sollten wir realistisch herangehen: Was ist machbar, was wäre übermenschlich? Welche Einschränkungen, z. B. Wetter, eisige Fahrbahnen, unwegsames Gelände, das die Rettungszeit verlängert, können wir nicht beeinflussen? Wie meistern wie die Lage unter den gegebenen Umständen?
Crew Resource Management
CRM-Prinzipien wenden wir sicher und konsequent an. Dazu gehören Schemata, die uns helfen, komplexe Fälle strukturiert abzuarbeiten. Diese gehen wir ganz bewußt Schritt für Schritt durch.
Alle Resourcen setzen wir gezielt ein. Diese umfassen auch zusätzliche Hilfsmittel und Hilfe durch weitere Teams. Im Rettungsdienst können wir weitere Rettungsorganisationen hinzuziehen, wie zum Beispiel die Höhenrettung oder die Wasserwacht.
In zwei meiner früheren Blogartikel finden Sie viel Wissenswertes über den Streß, seine Ursachen und Formen sowie die Prävention und den Umgang damit unter Zuhilfenahme von CRM Prinzipien.
3. Fatigue ist nicht am nächsten Tag schon geheilt
3.1. Definition von Fatigue
Bei Fatigue handelt es sich um eine chronische Erschöpfung, die sich über einen längeren Zeitraum aufbaut, bedingt durch übermäßigen Gebrauch der Resourcen und durch zu viele Anforderungen, welchen man zu lange versucht, nachzukommen. Kraftreserven werden so lange nicht aufgefüllt, bis der Punkt zur Regenerationsfähigkeit überschritten ist.
Wenn Fatigue erst eingetreten ist, dann dauert es länger, bis wir uns erholen als nach einer kurzanhaltenden Streßphase.
Faktoren, die beigetragen haben können, umfassen:
- die berufliche Situation und permanenter Streß in der Arbeit
- eine Phase sehr harter Arbeit
- zusätzliche Verpflichtungen in Familie und Haushalt
- Sorgen und Probleme, die schwer lösbar sind und anhalten
- körperliche, physische und seelische Stressoren, die nicht nachlassen
- schwere Erkrankungen
3.2. Weshalb wir im CRM auf Fatigue eingehen
Einerseits hat Fatigue Auswirkungen auf unsere Arbeitsweise und damit die Sicherheit.
Fatigue beeinträchtigt unsere Fähigkeit, die Umgebung aufmerksam wahrzunehmen, Entscheidungen zu treffen, aber auch, uns zu konzentrieren und Gelerntes zu behalten.
Andererseits gibt es Möglichkeiten, die Zeichen zu erkennen und frühzeitig einzugreifen. Dadurch können wir verhindern, daß es soweit kommt, wie uns während eines CRM-Trainer-Kurses ein anderer Teilnehmer berichtet hatte.
Auf einem Schiff, das mehrere Monate auf den Weltmeeren unterwegs war, tat er in Wechselschichten anstrengende Dienste, sein Schlafrhythmus war erheblich gestört.
Als er zum Weihnachtsurlaub um die halbe Welt nach Hause flog, merkte er bei seiner Ankunft dort, daß er keinerlei Erinnerung mehr an seine mehr als eintägige Reise hatte. Nicht an einen einzigen Flug, das Umsteigen oder den Transport zum und vom Flughafen.
Es war für ihn das Zeichen, daß etwas ernstlich im Argen war, er zog die Konsequenzen und verabschiedete sich aus diesem Beruf. Er erkannte, daß es nicht die Norm sein darf, daß eine solche Erschöpfung in einer Branche als normal angesehen wird.
3.3. Fatigue ist meßbar
Da die Sicherheit während der Arbeit, aber auch die Gesundheit der Einzelnen in teilweise bedrohlichem Ausmaß beeinträchtigt sind, gibt es Fragebögen, mit welchen eine Fatigue und deren Grad eruiert werden können.
Sie enthalten zum Beispiel Fragen zur physischen und mentalen Erschöpfung. Die Antworten werden mit Punkten gewichtet. Bestimmte Punktsummen zeigen den Grad der Fatigue.
3.4. Maßnahmen gegen Fatigue
Der erste Schritt ist das Erkennen der Fatigue, entweder bei sich selbst oder jemandem, der betroffen ist. Nachfolgend müssen wir über den Auslöser nachdenken und eruieren, ob es einen einzigen gibt oder mehrere zusammengetroffen sind.
Sodann können wir über die Lösungen nachdenken, die sehr individuell ausfallen, je nachdem, welche Faktoren wir identifiziert haben und in welchen Lebensumständen insgesamt sie aufgetreten sind.
Je nach Grad der Fatigue sind zusätzlich Pausen nötig, oder das Erlernen, wie Zeit und Aufgaben passend für das Individuum eingeteilt werden können. Von einer Selbstmedikation sollte man immer Abstand nehmen. Lassen sich die Probleme nicht alleine lösen, können Coaching oder auch ein Arztbesuch helfen. Mit dem Hausarzt kann man beispielsweise eine Kur besprechen und beantragen.
3.5. Primärprävention von Fatigue
Fatigue wird am besten von vorneherein vermieden. Dazu ist es wichtig, daß wir überhaupt wissen, daß dieses Problem exisitiert. Vor allem dann, wenn wir besonders leistungswillig sind. Denn viele von uns übernehmen sich und unterschätzen ihre eigene Ermüdung.
Ein gesundes Verhältnis von Anstrengungen, anspruchsvollen Aufgaben und Entspannung ist entscheidend. Eine vielfältige und nährstoffreiche Kost, körperliches Training, glückliche Stunden bei Hobbies oder zusammen mit unseren Lieben sowie ausreichender und erholsamer Schlaf tragen ebenfalls zur Fatigueprävention bei.
4. Wir begegnen Normen häufiger als wir denken
4.1. Warum brauchen wir Normen?
Normen sind Handlungsanweisungen die innerhalb einer Gesellschaft gelten. Das Verhalten entsprechend der Normen läßt das Handeln vorhersagbar werden, man fällt innerhalb der Gesellschaft nicht unangenehm auf.
In der Luftfahrt, wie auch in allen anderen Branchen gibt es solche Verhaltensregeln. Teilweise variieren sie von Firma zu Firma. Normen können ein positives Verhalten unterstützen oder eingeschliffene ungünstige Verhaltensweisen sein, die wir in der Folge als normal betrachten.
4.2. Ungünstige Verhaltensweisen sind keine Normen
Solche ungünstigen Verhaltensweisen können dazu führen, daß die Sicherheitssäume überschritten werden, Aufgaben nachlässig ausgeführt werden und schlußendlich kann es dadurch bedingt zu Fehlern kommen, die den Flug gefährden oder Auswirkungen auf einen Patienten haben.
Aufgrund von den Normen, die eigentlich keine sind, sondern schlechte Gewohnheiten, hat dieser Begriff seinen Platz im „schmutzigen Dutzend“. Wenn wir uns an das Beispiel oben von den anstrengenden Diensten auf einem Schiff erinnern, erkennen wir klar, daß die Anerkennung dieser Erschöpfung als etwas Normales eine ungünstige Norm ist. Daß sie als solche die Sicherheit erheblich gefährdet, ist selbstredend.
4.3. Gute Normen bewahren, schlechte Gewohnheiten erkennen und ausmerzen
Wie erkennen wir gute Normen und unterscheiden davon nachteilige Gewohnheiten? Betriebsblindheit macht uns die Sache nicht leichter.
Wie wir nachteilige Gewohnheiten als Ursache von Fehlern erkennen
Wie immer im CRM, eruieren wir die Ursachen von Fehlern. Warum ist uns ein Fehler passiert? Waren nachteilige Gewohnheiten die Ursache? Wenn ja, müssen wir konstruktive Lösungen und vor allem umsetzbare Lösungen erarbeiten, wie wir als gesamtes Team die identifizierte Gewohnheit ausmerzen wollen.
Auch Beinaheunfälle und Mißgeschicke müssen wir ernstnehmen, sie können wichtige Hinweise auf verkleinerte Sicherheitssäume sein. Wenn wir diese entdeckt haben, ergreifen wir Maßnahmen gegen neuerliches Ausdünnen der Sicherheitssäume.
Wie wir unsere Normen und Gewohnheiten vergleichen und dazulernen
Wir sollten stets kritisch bleiben und unsere Arbeitsweise überprüfen, auch im Abgleich mit internationalen Richtlinien. Darüberhinaus können wir auf Kongressen und im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen dazulernen, unsere Normen fortwährend anpassen und nachteilige Gewohnheiten erkennen und bearbeiten.
Wie wir unsere vorteilhaften Normen bewußt einsetzen
Nicht zuletzt haben wir vieles in unserem Team bereits erfolgreich etabliert, darunter wertvolle Normen. Wenn uns Einsätze oder Aufgaben gut gelungen sind, so sollten wir immer wieder auch den Grund für unsere Erfolge aktiv suchen, damit wir diese wiederholen können.
Ein großes Lob an unsere Teamkolleginnen und -kollegen spornt unser Team an und gibt uns die positive Energie, weiterhin tolle Arbeit zu leisten.
5. Im nächsten Blogartikel vervollständigen wir das „schmutzige Duzend“
Im dritten Teil dieser Serie befassen wir uns mit dem Mangel an Teamarbeit, Mangel an Ressourcen, mangelnder Durchsetzungskraft sowie mangelnder Aufmerksamkeit. Zu allen vier Punkten erarbeiten wir wieder, was wir aktiv dagegen unternehmen können.
Frühere Blogartikel finden Sie auf der Blogseite unten verlinkt.
Autorin: Eva-Maria Schottdorf
Datum: 27. Februar 2022